Asthma und Allergien, Gesundheit
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Beruhigung des Immunsystems

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  • Das Molkenprotein Beta-Lactoglobulin (BLG) hat zwei Seiten: Es löst eine Milchallergie aus, kann aber auch das überreizte Immunsystem beruhigen.
  • Welches Gesicht BLG zeigt, hängt vom Erhitzungsgrad der Milch bzw. der Molke ab, aber auch davon, ob Stoffe, wie z. B. Fettsäuren, an das Molkenprotein gebunden sind. Vor allem auf der Innenseite des vasenförmigen Moleküls.

Lebensmittelallergie

Lebensmittelallergien, einschließlich Milchallergien, beruhen auf einem Immunsystem, das nicht normal reagiert. Milch wird nicht als Lebensmittel erkannt. Anstelle eines Nahrungsproteins „sieht“ das Immunsystem nur Antigene, also Bruchteile des Eiweißes, auf die es gelernt hat, mit einer heftigen körperlichen Reaktion, einem Abfall der Körpertemperatur und sogar einem anaphylaktischen Schock zu reagieren. Dies kann sich auch durch juckende Haut, Erbrechen oder Asthma äußern.

Kühe, Ställe und Rohmilch

Man kann eine ganze Philosophie darüber haben, ob man Milch trinken oder Fleisch essen soll oder nicht, aber der westliche Gebrauch von Kuhmilch ist eine Erweiterung des Trinkens unserer eigenen Muttermilch. 

Nun scheinen sowohl unbehandelte Kuhmilch als auch die Stallumgebung der Kühe eine entscheidende Rolle bei der Beruhigung eines überreaktiven Immunsystems zu spielen, was sich als Nahrungsmittelallergie, Milchallergie oder Asthma äußert. Die Forschung der letzten 25 Jahre hat immer wieder deutlich gemacht, dass:

  • …der Verzehr von roher Kuhmilch schützt vor der Entwicklung der oben genannten immunologischen Probleme;
  • …es etwas gibt in der Stallumgebung, im Stallstaub, aber auch in der Stallluft, das sowie die Kuhmilch selbst, Schutz bietet.

In einer Studie wurde der Staub in Rinderställen gesammelt und die daran haftenden Chemikalien extrahiert. Als Sammelstelle wurden die Kuhställe der amerikanischen Amish-Bevölkerung gewählt. Diese Landwirte hängen sehr an ihren Kühen und haben die geringste Häufigkeit von Asthma und Allergien unter allen westlichen Bevölkerungsgruppen. Der Staub aus den Kuhställen der Amischen wurde mit dem Staub in Ställen mit Schafen verglichen. Außerdem wurden Proben in europäischen Kuhställen genommen, um festzustellen, ob sie den amischen Ställen ähneln (Dos Santos et al., 2023). Frühere Forschungen hatten bereits gezeigt, dass die Kuhställe, nicht aber die Schafställe, zu einer geringeren Asthma-Inzidenz bei Kindern führen, die auf dem Bauernhof leben. Außerdem wurde festgestellt, dass Mäuse, die mit Kuhstallstaub „infiziert“ waren, kein Asthma entwickelten, Mäuse mit Schafstallstaub hingegen schon. Die Frage war also, was eine Kuh noch mehr, oderanders macht als ein Schaf?

Zwei Stoffe aus der Familie der Lipocaline wurden in Kuhställen in 500- bis 700-facher Menge gefunden. Eine Substanz wird über die Kuhhaut ausgeschieden (Geruchsstoff: Odorant Binding Protein = OBP), die andere wird als „Allergen Bos D2“ (Bos taurus = Kuh) bezeichnet. Dies ist an sich nicht so bemerkenswert, da es sich um spezifische Stoffe handelt, die von Kühen und nicht von Schafen produziert werden. Dennoch waren die Stoffe interessant, weil Kuhstallstaub kein oder weniger Asthma verursacht. Andere Untersuchungen wiesen auf ein 3e Lipocalin hin, nämlich das Beta-Lactoglobulin (BLG), das sowohl über die Kuhmilch als auch über den Urindunst übertragen wird. Wir haben bereits früher darüber berichtet (Stichwort: Kuhstallpille).

Lipocaline

Lipocaline fungieren in unserem Körper als Transporter für zahlreiche Stoffe, wie Eisen, Fettsäuren und Vitamine. An den Zellen der Darmwand docken sie an und geben dann ihren Inhalt in die Zelle selbst ab. Es handelt sich um eine Familie kleiner Proteine, die „vasenförmig“ sind, also ein Oben und ein Unten, vor allem aber ein Innen und ein Außen haben. In der Familie der Lipocaline finden sich viele Allergene wie Katzenhaare, Birkenpollen, aber auch Beta-Lactoglobulin (BLG), das wichtigste Molkenprotein, das in Kuhmilch, nicht aber in menschlicher Milch vorkommt. Aufgrund ihrer ähnlichen räumlichen Struktur kommt es zu Kreuzallergien, d. h. man kann auf mehrere, ähnliche Lipocaline allergisch reagieren, wenn das Immunsystem zumindest in den ersten Lebensjahren sensibilisiert ist.

Holo- oder Apo-Lipocaline ist von großer Bedeutung

Entscheidend dafür, ob ein Lipocalin zu einer Allergen wird, ist, ob die Lipocalin-Vase „leer“ oder „gefüllt“ ist. Lipocaline können mit Fettsäuren beladen sein: Stearinsäure, Ölsäure und Linolensäure (gesättigte und ungesättigte C18-Fettsäuren). Es handelt sich um hydrophobe Stoffe, also Stoffe, die sich nicht mit Wasser vermischen, sondern Wasser abstoßen. Sie werden im Inneren der Vase in einer wässrigen Umgebung transportiert. Dos Santos et al. (2023) fanden in traditionellen Milchviehbetrieben mehrere Transportproteine, die nicht wasserlösliche Stoffe aus Pflanzen, aber auch Pilze sowie Mineralien wie Eisen oder Zink transportieren können. Die Pakete, die transportiert werden, werden als „Liganden“ bezeichnet. Sie werden normalerweise in den vasenförmigen Holo-Lipocalinen gespeichert für Transport.

Stabile Holo-Lipocaline sind die mit Liganden beladenen Lipocaline. Sie geben ihren Inhalt an Immunrezeptoren ab, was insgesamt dazu führt, dass eine allergische Reaktion unterdrückt wird und sich das überstimulierte Immunsystem beruhigt (Roth-Walter et al., 2020). Im Gegensatz dazu können leere Apo-Lipocaline sowie hitzeschädigte Lipocaline (nach Pasteurisierung von Milch oder Molke) eine allergische Reaktion auslösen. Sie sind nicht mehr in der Lage, Immunzellen zu beruhigen. Sowohl bei Mäusen als auch bei jungen Menschen führt der Verzehr von Rohmilch nicht zu einer negativen immunologischen Reaktion, erhitzte Rohmilch oder auch Trinkmilch aus dem Laden hingegen schon (Abbring et al., 2019). Auch das Erhitzen von Rohmilch guter Qualität (Demeter-Milch) führt bei Mäusen zu einer asthmatischen Reaktion (Abbring et al., 2017), nicht die Rohmilch. Alles in allem dreht sich der Schutz vor Asthma und Allergien also um die Molkefraktion der Milch, den Staub im Stall oder die mit Kuhurin angereicherte Stallluft, die ebenfalls große Mengen an BLG enthält. Das wichtige Lipocalin in der Molke ist das BLG, wenn es unbeschädigt und aufgeladen, d.h. roh ist.

Die zwei Gesichter der BLG

Eine Seite von BLG ist, dass es als Transportmolekül den sauren Magen unverdaut passiert, um dann die Darmschleimhaut des Dünndarms zu erreichen. Dieses BLG dockt an die Schleimhaut an, um dann als Molkenprotein das Immunsystem zu beruhigen. Wie das möglich ist, hängt zum einen mit dem „nativen“/unveränderten Protein (holo) zusammen, das mit den Liganden (Eisen, Fettsäuren, Retinol) beladen ist. Das Holo-BLG ist heilend.

BLG hat aber auch eine andere Seite, es gilt als wichtiges Eiweiß, das Kuhmilchallergien auslösen kann. Dies ist unerwünscht und sollte vermieden werden. Bei diesem BLG handelt es sich jedoch um ein anderes, leeres, ein Apo-BLG oder ein hitzeverändertes Molkenprotein, was eine Strukturveränderung gemacht hat, wo neue Epitope gebildet sind, da sich einige Teile des BLG-Protein nach außen drehen. Erhitzungstemperaturen bis zu etwa 60o C sind für BLG noch weitgehend reversibel, d. h. es kommt zu einer Formerholung und Rückkehr zum nativen Zustand, wenn die Temperatur wieder sinkt. Höhere Temperaturen führen zunehmend zu einer irreversiblen Formveränderung von BLG. In der englischen Literatur wird dies als „unfolding“ bezeichnet, d. h. die Vase wird von innen nach außen gedreht. Die Schädigung durch Erhitzung hängt von der Kombination aus absoluter Temperatur und Zeitdauer ab. Als Nebeneffekt bilden sich zahlreiche neue Verbindungen, z. B. zwischen denaturiertem BLG und Kappa-Kasein, aber auch zwischen BLG und den Milchzucker. Dieses Apo-BLG ist nicht erwünscht.

Wie wird BLG schließlich verdaut?

BLG in unerhitzter Milch bildet ein kompaktes und robustes Protein, das dem niedrigen pH-Wert des Magens und auch dem Abbau durch das Enzym Trypsin gut widersteht. Dies steht im Gegensatz zu Käseproteinen, bei denen das wichtige Beta-Kasein direkt im Stoffwechsel aufgegriffen und in Hunderte kleinerer und größerer Peptide umgewandelt wird. Die Funktion des BLG ist also weniger ein Nahrungsprotein (wie Casein), sondern eher ein Transportprotein, das zahlreiche Stoffe in den Dünndarm bringen kann, wenn es intakt ist. Holo-BLG als Schutzverpackung für Stoffe, die sonst nur schwer in den Dünndarm gelangen würden. Nachdem der Inhalt des BLG in den ersten Teil des Dünndarms gelangt ist, zerfällt schließlich auch das BLG und wird in Peptide zerlegt.

Literatur

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