Rohmilch kann man spontan oder kontrolliert säuern lassen. Bereits 1981 wurde festgestellt, dass, wenn man Milch bei Zimmertemperatur stehen lässt, entweder eine Säuerung (die Milchzucker werden zuerst angegriffen) oder eine Fäulnis (das Milcheiweiß wird umgewandelt) stattfindet. Je mehr Bakterien in der Rohmilch vorhanden sind, desto schneller erfolgt die Säuerung. Auf diese Weise hat man früher Dickmilch oder ‚Clabbermilk‘ (Eng.) hergestellt. Die Bakterien kamen aus Rissen und Nähten, aus Biofilmen in den Melkwerkzeugen und Rohrleitungen. Die Rohmilch wurde mit der bakteriellen Flora des Betriebs geimpft, mit guten und schlechten, gefährlichen und harmlosen. Dieser Prozess ist jedoch unkontrolliert und man ist von der in der Milch vorhandenen Bakteriensuppe abhängig. Die kontrollierte Säuerung von Rohmilch setzt voraus, dass die Milch so hygienisch gemolken wird, dass sie eine sehr geringe Keimzahl aufweist. Gemolken mit Melkwerkzeugen, die keine Spuren hinterlassen. Kontrollierte Säuerung findet statt bei der Herstellung von Rohmilch, der in den Niederlanden und Deutschland aus der so genannten Vorzugsmilch hergestellt wird. Vorzugsmilch ist bekannt für ihre geringe Keimzahl, da die Landwirte diese Milch grundsätzlich für direkte Konsum als Rohmilch anbieten. Die Rohmilch wird gemolken und auf ca. 24-28oC abgekühlt, transportiert und bereits eine halbe Stunde später wird die Starterkultur (Kefirkultur) hinzugefügt. Im Gegensatz zu einer spontan fermentierten Milch ist dies ein kontrollierter Prozess aus „sicherer Rohmilch“.
Wenn die Starterkultur in Milch zugegeben wird, erwacht eine große Dosis gefriergetrockneter Bakterien zum Leben. Diese Bakteriensuppe beginnt sich langsam zu vermehren, ein Prozess, der als exponentielles Wachstum bezeichnet wird. Dieser Prozess kommt nach Stunden zum Stillstand, weil die Bakterien ihre eigene Nahrung, nämlich den Milchzucker, umgewandelt haben und weil sie ein neues saures Milieu schaffen, in dem sie selbst nicht wachsen können. Diese beiden Eigenschaften, nämlich der Anteil an Milchsäure und das Fehlen von Laktose, verhindern auch das Wachstum vieler anderer, unerwünschter Bakterien, die Krankheiten verursachen können.
Der Ablauf der Säuerung wird bestimmt anhand der Messung des Säuregrads, des pH-Werts. Das pH-Spektrum reicht von sauer (niedriger pH-Wert, weniger als 4) über neutral (Wasser hat einen pH-Wert von 7) bis zu basisch (Soda hat einen hohen pH-Wert, über 10). Milch hat einen nahezu neutralen pH-Wert von etwa 6,6. Wenn die Bakterien aufwachen, beginnt die konstante Teilung der Bakterien. Dies dauert etwa 5-6 Stunden, was sich in einem sehr langsamen Absinken des pH-Wertes zeigt (Abbildung 1). Im Geruch und Geschmack merkt man erstens noch nicht viel. Dann geht der pH-Wert innerhalb einige Stunden rasch herunter und nach etwa 14-15 Stunden endet der pH-Wert auf 4,3-4,5. Die Suppe stabilisiert sich und inzwischen ist auch die Milch ‚eingedickt‘, das Eiweiß ist zerfallen. Die Fließfähigkeit der Milch verschwindet und wir haben es mit einer Struktur zu tun, die Sie als dickflüssig-ausgeflockt bezeichnen. Die Behörde für Lebensmittel- und Verbraucherproduktsicherheit hat dieses Verfahren als sicher eingestuft, weil der pH-Wert der Milch so schnell auf einen Wert von etwa 4,3 gesenkt wird. Auch die sehr geringe Keimzahl der Kuhmilch und die Tatsache, dass es sich nur um Milch aus einer Melkung handelt, tragen stark zur Sicherheit eines solchen Rohmilchkefirs bei. Bei dem niedrigen pH-Wert können Zoonosebakterien nicht mehr wachsen. Das Produkt ist stabil, wenn man es in den Kühlschrank stellt, vorzugsweise unter 4oC. Die niedrigen Kühlschranktemperaturen stoppen den Prozess und das Produkt bleibt wochenlang stabil.
Lebende Bakterien
Wenn man Proben von Rohmilchkefir nimmt und ermittelt, wie viele Bakterien man pro ml des Produkts findet, kommt man auf astronomische Zahlen von über 1 Milliarde pro ml. Um dies aufzuschreiben, wird eine logarithmische Skala verwendet: 10 ist 101, 1.000 ist 103, 1.000.000 ist 106 und 1.000.000.000 ist 109. Sie zählen die Anzahl der Null und diese bilden Ihre logarithmische Zahl, in diesen Beispielen 1, 3, 6 oder 9. Selbst nach 1-3 Wochen kann man die Bakterien noch immer auf einem Nährboden züchten. Der Hersteller gibt an, dass er etwa 10 verschiedene Bakterien- und Hefearten/Stämmen verwendet. Klar ist jedoch, dass die Laktobazillen, die Milchsäurebakterien, die wichtigste Gruppe sind. Mit diesen Zahlen im Hinterkopf ist es klar, dass der Verzehr eines Glases Rohmilchkefir (200 ml) pro Tag einen starken Beitrag zu Ihrer täglichen Portion lebender Bakterien leistet, die möglicherweise über den Magen in Ihren Darm gelangen können. Weitere Forschung soll zeigen, welche Bakterien es schaffen, den Darm zu erreichen.