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Erhitzung ändert Kuhmilch…

… und zwar umso drastischer, je höher man sie erhitzt. Was sind die Folgen?

Take home message

  • Durch die Messung der Konzentrationen der Milchinhaltstoffe kann man feststellen, was sich verändert, wenn Milch pasteurisiert (72 °C) oder sogar auf 100°C erhitzt wird. Durch Erhitzen karamellisiert die Milch, was durch Verbindungen des Milchzuckers mit anderen Inhaltsstoffen verursacht wird (Maillard-Reaktion).
  • Zu den hitzeempfindlichen Inhaltsstoffen gehören vor allem Molkenproteine (wie Lactoferrin) und Immunglobuline.
  • In erhitzter Milch können sich Bakterien leichter vermehren und Krankheitsprobleme verursachen, wann Rekontamination statt findet.
  • Die Konzentrationen der Inhaltsstoffe sagen nicht alles darüber aus, ob das Erhitzen ein Problem darstellt. Studien an Tieren und Menschen zeigen Auswirkungen der Erhitzung auf die Immunologie. Rohmilch schützt vor Allergien.

Aus Gründen der Lebensmittelsicherheit wird Rohmilch erhitzt: pasteurisiert oder sterilisiert. Obwohl man uns lange Zeit glauben machen wollte, dass das Erhitzen den Nährwert und vor allem die Wirksamkeit von Rohmilch „kaum beeinträchtigt“, zeigt eine neuere Studie, welche Art von Veränderungen stattfinden (Shuang et al., 2024). Das ist nicht neu, bereits 1980 hat das renommierte Schweizer Forschungsinstitut Agroscope die durch Erhitzung verursachten Veränderungen ausführlich dokumentiert (Blanc, 1980). Bedauerlich an Blancs Forschung ist, dass sie praktisch in keiner Bibliothek zu finden ist. Im gleichen Zeitraum untersuchten die Schweizer nicht nur die Inhaltsstoffe, sondern auch, was das Erhitzen von Milch für das Wachstum und die Entwicklung von 9 Generationen von Ratten bedeutete (Sieber et al., 1980).

Die chinesische Studie zeigte, dass die Inhaltsstoffe unterschiedlich auf zunehmende Erhitzung reagieren. Neben der Rohmilch wurde die HTST-pasteurisierte Milch erforscht. HTST bedeutet High-Temperature-Short-Time: Erhitzung auf 72oC für 15 Sekunden. Bei dem Vergleich wurden weitere Erhitzungsstufen hinzugefügt: 75, 80, 85, 90, 95 und 100oC für 15 Sekunden.

Substanzen und Prozesse

Bewertet wurden die Auswirkungen auf die Immunität (IgG), die Molkenproteine (Lactoferrin, Gesamtmolkenprotein), die Vitamine (C und B2), die Abtötung von Bakterien (Gesamtkeimzahl, Coliforme, Staphylococcos aureus und Sporenbildner), aber auch auf den Verlust der bakteriziden Eigenschaften (Auswuchs von Escherichia coli und Staphylococcus aureus, die nach dem Erhitzen zugesetzt wurden), der Antioxidantien (DPPH-Radikal) und der Karamellisierung des Milchzuckers und der Aggregatbildung mit anderen Zutaten (die Maillard-Reaktion, gemessen als Furosin).

Erhitzen tötet Bakterien ab

Das Hauptziel der Pasteurisierung ist die Abtötung von Bakterien. Das Ergebnis wird als mesophile (Gesamt-)Keimzahl gemessen. Darüber hinaus können bestimmte Bakteriengruppen separat betrachtet werden, z.B. coliforme Keime (Maß für die Sauberkeit), Staphylococcus aureus (Maß für die Euterinfektion) und Sporenbildner (Maß für die versteckte Kontamination), (Abbildung 1).

Coliforme Keime und S.aureus können unmittelbar nach der HTST-Pasteurisierung nicht mehr nachgewiesen werden (0 %). Die Gesamtkeimzahl wird durch die HTST-Pasteurisierung stark reduziert (mehr als 40 %). Nach der Sterilisierung werden nicht alle Bakterien abgetötet (maximal 70 % Reduzierung). Das liegt an den sporenbildenden Bakterien, die aus den Sporen nachwachsen können, auch wenn die Milch sterilisiert ist. Um die sporenbildenden Bakterien loszuwerden, muss man die Milch auf 140oC erhitzen (H-Milch). Nur dann kann man die Milch auch monatelang unverändert außerhalb des Kühlschranks stehen lassen; diese Milch ist bakteriologisch tot.

Abb. 1. Abnahme bei zunehmender Erwärmung für 15 Sekunden: Gesamtkeimzahl (TPC), Coliforme, Staphylococcus aureus und Sporenbildner relativ zum Wert in der Rohmilch (=100). Die log10-Mengen der Ausgangsrohmilch betragen 4,7; 2,6; 2,3 bzw. 2,0. (Die Linien für Coliforme und S.aureus liegen übrigens übereinander).

Re-Kontamination: Nach dem Erhitzen wachsen Bakterien

Rohmilch hat ein internes Abwehrsystem gegen Bakterienwachstum. Die Bakterien werden vor allem in den ersten Stunden nach dem Melken gehemmt. Die Milch säuert also nicht sofort und bestimmte Zoonosen wachsen nicht sofort aus. Allerdings sollte man nicht davon ausgehen, dass deshalb jede Rohmilch sicher ist. Die Sicherheit von Rohmilch hängt von der Anfangskontamination, einer niedrigen E.coli-Zahl und der Kühlung der Milch ab.

Klar ist jedoch, dass nach dem Erhitzen der Milch der Schutz verloren geht. Je höher die Erhitzungstemperatur, desto schneller vermehren sich die zugesetzten E.coli und S.aureus. Dies kann auch das Problem der Re-Kontamination, d.h. nach der Pasteurisierung der Milch in einer Fabrik kommt es zu einer Kontamination. Eine solche Kontamination ist mindestens so gefährlich wie das Vorhandensein von Bakterien in der Rohmilch selbst. Aufgrund der größeren Verbreitung der pasteurisierten Milch aus ein und demselben Betrieb sind die Folge oft viel größer, wenn auch seltener.

Abb. 2. Die Zunahme von Escherichia coli und Staphylococcus aureus, die nach dem Erhitzen (und Abkühlen) der Milch zugesetzt wurden, im Verhältnis zum Aufkommen in Rohmilch (=100).

Der Verlust von Molkenproteinen und Abwehrfunktion

Abb. 3. Abnahme der Konzentration bei zunehmender Erhitzung für 15 Sekunden: Molkenprotein insgesamt, Lactoferrin, Immunglobulin G und Antioxidantien (als DPPH-Radikalfängerkapazität) im Vergleich zum Wert in Rohmilch (=100).

Bereits nach der Pasteurisierung (HTST, 72oC) kommt es zu einer 20-30%igen Verringerung von Lactoferrin und IgG. Sowohl Lactoferrin als auch IgG spielen eine Rolle für die Immunität. Oberhalb von 85oC werden beide Inhaltstoffe auf null reduziert. Molkenproteine sind tendenziell hitzeempfindlicher als Kaseinproteine. Insgesamt nimmt die Konzentration der gesamten Molkenproteine mit steigender Temperatur allmählich ab. Lactoferrin gehört zu diesen Molkenproteinen, ist aber deutlich hitzeempfindlicher. Antioxidantien spielen eine wichtige Rolle beim Abfangen freier Radikale. Auch hier ist ein starker Rückgang bei höheren (Sterilisations-)Temperaturen zu verzeichnen.

Außerdem sinkt der Vitamin-C-Gehalt um mehr als 30 %, während der Verlust an Vitamin B2 kaum vorhanden ist. Dies gilt für alle Temperaturen (nicht dargestellt).

Maillard-Reaktion

Beim Erhitzen entsteht, mit bloßem Auge kaum sichtbar, eine cremefarbene Milch. Dies wird als Karamellisierung bezeichnet. Der Milchzucker verbindet sich mit anderen Bestandteilen, wodurch sich seine Aktivität verändert, in der Regel verringert. Dies wird an der Furosin-Konzentration gemessen.

Abb. 4. Zunahme von Furosin als Maß für die Karamellisierung des Milchzuckers bzw. die Maillard-Reaktion bei zunehmender Erwärmung der Milch für 15 Sekunden; relative Werte zur Rohmilch (=100).

Wenn die Milch zum Siedepunkt gebracht wird, nimmt die Karamellisierung stark zu. Aber auch bei pasteurisierter Milch ist dies bereits spürbar, was die meisten Menschen als einen etwas süßeren Milchgeschmack im Vergleich zur Rohmilch wahrnehmen.

Gehalt oder Wirkung?

Mit der Messung von Stoffen möchten wir eine Einschätzung über die Gesundheitswirkung machen. Ist eine Abnahme von wenigen Prozent ‚noch tolerierbar‘, ‚ungesund‘ und ‚unbedenklich‘? Ist jeder Inhaltstoff gleich wichtig? Oft weiß man nicht genau, wie die Stoffe verdaut werden oder mit den Schleimhäuten interagieren, um beurteilen zu können, ob die Auswirkungen der Erhitzung relevant sind. Casein und ein Molkenprotein wie Beta-Lactoglobulin (BLG) werden unterschiedlich verdaut. Während Casein im (sauren) Magen schnell zerfallt, gelangt BLG teilweise unverdaut und unverändert in den Dünndarm, um dort seine Aufgabe als Transportprotein zu erfüllen.

Wie und ob z.B. BLG wirkt, hängt also vom Grad der Denaturierung durch Erhitzung ab, aber auch davon, ob das BLG-Protein mit Eisen oder Fettsäuren aufgeladen ist (Roth-Walter et al., 2020). Erst dann kann sich das entriegelte Immunsystem beruhigen. Eigene Forschungen (Uni Utrecht und Kassel) machen deutlich, dass bereits nach der Pasteurisierung (HTST) ein negativer Effekt auf die Immunologie von Mäusen (Lebensmittelallergiemodell) besteht, dass aber auch mehrfach allergische Kinder die HTST-Milch nicht vertragen, die nicht erhitzte Rohmilch aber, ohne allergische Symptome zu zeigen (Abbring et al., 2019). Neben Reaktionen auf Allergie oder Asthma sind auch Auswirkungen auf das Wachstum bekannt. Sieber et al. (1980) zeigten beispielsweise, dass es mehrere Generationen benötigt, um Wachstumsunterschiede bei Ratten zu erkennen, die mit roher oder erhitzter Milch gefüttert wurden, ohne genau zu wissen, welche Substanz oder Substanzen die Wachstumsunterschiede verursachten.

Literatur

  • Abbring, S., Kusche, D., Roos, T. C., Diks, M. A., Hols, G., Garssen, J., Baars, T. & van Esch, B. C. (2019). Milk processing increases the allergenicity of cow’s milk—Preclinical evidence supported by a human proof‐of‐concept provocation pilot. Clinical & Experimental Allergy, 49(7), 1013-1025.
  • Blanc B. (1980). Einfluss der thermischen Behandlung auf die wichstigsten Milchinhaltstoffe und auf den ernährungsphysiologischen Wert der Milch. Alimenta-Sonderausgabe, (1980), pp 5-25
  • Blanc B. (1982). Les protéines du lait à activité enzymatique et hormonale. Le Lait (1982), 62, 350-395
  • Roth-Walter, F., Afify, S. M., Pacios, L. F., Blokhuis, B. R., Redegeld, F., Regner, A., … & Hufnagl, K. (2020). Cow milk protein beta-lactoglobulin confers resilience against allergy by targeting complexed iron into immune cells. Journal of Allergy and Clinical Immunology.
  • Sieber, R., Rüst, P. und Blanc, B. (1980). Ernährungsphysiologischer Vergleich von roher, pasteurisierter und ultrahocherhitzter Milch in einem Langzeitversuch mit Ratten. Alimenta-Sonderausgabe, pp. 49-56.
  • Shuang, J., Liu, Y., Hettinga, K., Zhang, L., Liu, X., & Zhou, P. (2024). Effects of different heat treatments on the bioactive components, bactericidal and antioxidative capacity of bovine milk. International Journal of Dairy Technology.

Alle Zahlen in diesem Artikel stammen aus Shuang et al, 2024.

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