Take-home message
- Zum ersten Mal wurde ein direkter Zusammenhang zwischen dem Verzehr von erhitzter Milch und der Entwicklung einer allergischen Reaktion sowohl bei Kleinkindern (1½ Jahre) mit Mehrfachallergie (Provokationstest) als auch bei einem Modell mit allergischen Mäusen hergestellt (Toleranztest).
- Es ist die Erhitzung insbesondere bestimmter Molkenproteine, die am stärksten im Verdacht stehen, diese Probleme bei Milchallergien zu verursachen.
- Eine Erholung scheint auch möglich, wenn allergische Kinder auf den Verzehr von Rohmilch und Rohmilchprodukten umsteigen. Letzteres muss weiter untersucht werden.
Vorzugsmilch bei Kindern getestet
In einer gemeinsamen Studie an der Universität Utrecht (Mäuse) und der Universität Kassel (Kinder) wurden allergische Reaktionen verschiedener Milchtypen untersucht (Abbring et al., 2019). 18 Monate alte Kinder wurden von einem Allergie-Spezialarzt getestet. Sie waren allergisch gegen verschiedene Lebensmittel, einschließlich Milch. Um die Allergiesimulation eines Kindes auszuschließen, führte der Arzt einen doppelblinden Provokationstest mit verschiedenen Milchtypen durch. Für den Provokationstest mit den kleinen Kindern wurde „Vorzugsmilch“ als Kuhrohmilch gewählt. Vorzugsmilch ist in Deutschland eine legale Rohmilch, die den behördlichen Hygieneanforderungen entspricht, um für den Rohverzehr unbedenklich zu sein. Die Gesetzgebung für diese Milch wird streng gehandhabt. Für jeden Test wurden frische Vorzugsmilch und frische Ladenmilch an den Arzt geliefert. Die Tests fanden mit Zustimmung der Eltern zu verschiedenen Jahreszeiten statt. Der Test begann mit 0,5 ml, dann 1 ml, 2,5 ml, wobei schrittweise auf 50 ml erhöht wurde, oder bis den Punkt, dass das Kind allergische Reaktionen zeigte. Zur Erstaunung des Allergie-Arzt reagierten die elf Kinder mit Mehrfachallergie nicht auf die Rohmilch, sondern nur auf die Milch aus dem Laden. Die allergischen Kinder konnten Rohmilch bis zu den maximal getesteten 50 ml vertragen. Kinder konnten jedoch bereits bei 1 ml Ladenmilch Allergien zeigen und der Arzt musste aufgrund allergischer Symptome mit durchschnittlich 8 ml Ladenmilch aufhören.
Mäuse reagieren wie Kinder
Vorzugsmilch aus demselben Betrieb wurde an allergischen Mäusen sowohl als rohe, unverarbeitete Milch als auch als erhitzte Rohmilch (80° C, 10 Min) an der Universität Utrecht getestet. Diese Studie umfasste auch Milch aus dem Laden. Anschließend wurde die frische, nicht gesäuerte Molkefraktion für eine zweite Untersuchung von der rohen Hofmilch getrennt. Die frische Molke wurde sowohl roh als auch erhitzt (80° C, 6 Min) verwendet.
Junge Mäuse werden in der Lebensmittelallergieforschung eingesetzt, um Allergien bei kleinen Kindern besser zu verstehen. Im ersten Versuch wurden die Mäuse für verschiedene Milchsorten sensibilisiert (Sensibilisierungsphase), die jeweils 5 Wochen lang gefüttert wurden mit einem Versuchsmilch. Kurz darauf wurden sie mit einem Allergen aus Kuhmilchprotein getestet (Provokation). Im 2. Versuch wurde die süße Molke aus der Rohmilch sowohl ungeheizt (roh) als auch erhitzt gegeben. Wiederum nach 5 Wochen wurden die Mäuse mit einem erhitzten, denaturierten Molkeprotein getestet (Provokation). Die Versuchsgruppen in Versuch 1 waren (A) Rohmilch, (B) erhitzte Rohmilch (80° C, 10 min) und (C) pasteurisierte Ladenmilch. Zusätzlich gab es zwei Kontrollgruppen: Mäuse, die als Negativkontrolle fungierten, erhielten nie Milchprotein, wohingegen die Mäuse der Positivkontrolle mehrmals mit erhitztem Kuhmilchprotein gefüttert wurden, um mit Sicherheit eine starke milchallergische Reaktion zu finden. Mäuse zeigten sehr ähnliche klinische Symptome, die bei allergischen Kindern bekannt waren. Es gab einen anaphylaktischen Schock (Abb.3) mit einem Abfall der Körpertemperatur (Abb.2) und einer Hautschwellung (Abb.1) nach Injektion der denaturierten Proteine in das Ohr. Am Ende der Studie wurden die Organe und das Blut der Mäuse weiter auf verschiedene Immunparameter untersucht. Die Bedeutung in der Mäuseforschung ist das Vorhandensein eines Tiermodells für Allergien, das ähnliche Reaktionen zeigt wie bei milchallergischen Kindern. Auch wurde ein Tiermodell für Asthma an der Universität Utrecht erfolgreich eingesetzt (Abbring et al., 2017). In beiden Fällen wurde die gleiche Rohmilch aus einem biodynamisch zertifizierten Vorzugsmilchbetrieb verwendet.
Roh und erhitzt unterschieden sich
Die Mäuse in Versuch 1, die mit Rohmilch aufgewachsen waren, reagierten während der Provokation in Woche 5 nicht allergisch auf ein Milcheiweißallergen, im Gegensatz zu Mäusen, die mit erhitzter Rohmilch oder pasteurisierter Ladenmilch aufgewachsen waren. Daher gibt es einen Effekt der Erhitzung und nicht des Milchursprungs (biodynamische Milch oder konventionelle Milch). Der Unterschied zwischen den verschiedenen Mäusegruppen kann wie folgt interpretiert werden: Die mit Rohmilch gefütterten Mäuse (A) sind mit Kindern vergleichbar, die mit Rohmilch aufgewachsen sind und die später in ihrem Leben keine allergischen Reaktionen zeigten (Braun-Fahrländer und Mutius, 2010; Loss et al., 2011). Ihr Immunsystem entwickelt sich robust, reagiert aber nicht auf harmlose Proteine. Milch ist für solche Kinder Nahrung und kein Allergen. Durch den Verzehr von erhitzter Milch hatten die Mäusegruppen (B) und (C) Allergien gegen Milch entwickelt (Abbildung 1-3). Diese Mäuse sind vergleichbar mit den 1½-jährigen Kindern oben, die von dem Arzt als Kuhmilch-Allergiker getestet sind. Bei diesen Kindern ist zu Beginn ihres Lebens „etwas schiefgelaufen“ in ihrer Immunität und sie wurden unter anderem allergisch gegen Kuhmilch.
Ebenso interessant ist die Zeit nach dem Provokationstest der Kinder. Der Arzt, der die Kinder testete, erwähnte, dass den Eltern geraten wurde, die Milchdiät auf gesicherte Rohmilch und Rohmilchprodukte (aus Sauermilch) umzustellen. Als er einige Monate später den Kindern neu untersuchte, war ein großer Teil ihrer allergischen Probleme verschwunden, nicht nur die Milchallergie. Dies ist an sich schon etwas Besonderes, da es sich um einen Heilungs- oder Erholungsprozess nach dem Verzehr von Rohmilch (-Produkten) handelt. Die Reaktion der Kinder und ihre anschließende Heilung deuten auf eine Umkehrung einer falschen Immunantwort hin.
Es ist in den Molkeproteinen
In dem zweiten Mausversuch, in dem nur die Molke getestet wurde, traten die gleichen Ergebnisse auf. Nachdem die Molke auf 80° C erhitzt worden war, entwickelte sich eine allergische Reaktion, während bei Mäusen, die mit roher, nicht erhitzter Molke aufwuchsen, keine Allergien festgestellt wurden. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die wärmeempfindlichen Molkenproteine und insbesondere das Beta-Laktoglobulin (BLG) ein wichtiger Bestandteil des Milchallergieproblems sind. BLG kommt in der Muttermilch nicht vor, was bedeutet, dass der Darm und das Immunsystem von Kleinkindern lernen müssen, dass es sich bei BLG um Lebensmittel und nicht um ein Allergen handelt. Offensichtlich gelingt dies, wenn das Immunsystem mit roher Kuhmilch trainiert wird, aber es kann scheitern, wenn das Kind in jungen Jahren mit erhitzter Kuhmilch oder erhitzter Molke konfrontiert wird.
Wenn Sie diese Ergebnisse in einem Labortest mit BLG vergleichen, ist klar, dass die Kuhmilch und das BLG im Bereich von 50 bis 90° C zunehmend allergen wurden (Karamonova et al., 2010). Bei höheren Temperaturen nahm die Allergenkapazität ab, da das komplexe BLG-Protein vollständig denaturiert („Baked milk“).
Dieser Artikel basiert auf der folgenden Veröffentlichung: Abbring, S., Kusche, D., Roos, T.C., Diks, M.A.P., Hols, G., Garssen, J., Baars, T., & van Esch, B.C.A.M. (2019). Milk processing increases the allergenicity of cow’s milk–preclinical evidence supported by a human proof‐of‐concept provocation pilot. Clinical & Experimental Allergy. First published: 03 April 2019. https://doi.org/10.1111/cea.13399
Foto: Beispiel der deutschen Vorzugsmilch