Was ist Ihnen wichtiger? Eine lange Haltbarkeit der Milch oder eine Gesundung ihrer Darmflora? Die Aussage „shelf life or gut life“ (frei übersetzt: „haltbar oder ein Darm voll Leben“) postete David Gumpert auf sein Blog. David Gumpert ist ein Journalist, der viel über die Akzeptanz der amerikanischen Rohmilch schreibt.
Wir gehen seltsam um mit unserer Gesundheit und den Lebensmitteln, die wir zu uns nehmen. Wir haben uns von unserer Nahrung entfremdet und mancher Foodblogger trägt zu der allgemeinen Verwirrung noch bei. Das Verrückte in der Nahrungsberatung ist, dass es immer mehr sein muss (mehr omega-3, öfter Fisch, mehr exotische Samen, mehr Zink, usw.), nie oder selten wird die Frage gestellt ob weniger und anders vielleicht letztendlich „mehr“ wäre.
Vor der industriellen Revolution war es für die meisten Menschen vor allem wichtig genug an Nahrungsmenge zu bekommen, die Qualität war damals noch gewährleistet. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft und der Einfluss der heutigen Lebensmittelindustrie müssen wir uns mittlerweile eher die Frage stellen, ob wir mit dem heutigen Nahrungsmittelangebot noch „lebend“/ „gesund“ ernährt werden. Das Problem ist, dass die Industrie an unverarbeiteten Produkten, den Grundnahrungsmitteln, nichts verdienen kann. Es sind nur Rohstoffe. Der Gewinn entsteht erst über die verarbeiteten Lebensmittel. Michael Pollan schrieb, dass das was mit „Lebens“mittel gemeint wäre, dasjenige ist was unsere Großmutter noch als Nahrung erkennen würde. So gesehen wären unsere Supermärkte sehr leer und vor allem die amerikanischen, wo sich alles nur noch um zusammengestellte, verarbeitete, bearbeitete und veränderte Produkte dreht. Es geht um Zutaten, von denen uns die Herkunft unbekannt ist, um Zusatzstoffe die bedenklich sind und um Rezepte, die nicht die gesündesten sind, wenn es um den Zusatz von Zucker und Fett geht.
Auch Milch wird durch Erhitzung länger haltbar gemacht. Die immer länger werdenden Transportwege und die immer länger werdenden Perioden zwischen zwei Abholmomenten vom Betrieb sind für diese Entwicklung verantwortlich. Haltbarkeit ist ein ökonomischer Begriff für den spätmöglichsten Verkaufsmoment. Eine relativ neue Art und Weise um ein „extended shelf life“ (lies: verlängerte Haltbarkeit) zu erreichen ist es die Milch vor der Pasteurisierung zu filtern, wodurch die Bakterien aus der Milch verschwinden und die Milch weniger verderblich wird. Solche Milch wird niemals mehr eine Dickmilch. Aber wollen wir das? Ist es nicht Teil des Charakters eines Lebensmittels, dass es umgeformt und umgesetzt werden muss, aus einander fällt und so seine Lebenskräfte an denjenigen frei gibt, der es verdaut. Rohmilch ist verderblich, Rohmilch wird sauer und dieser Abbauprozess kann eine ganze Weile herausgezögert werden indem auf den Höfen hygienisch gearbeitet wird und eine Kühlkette von 4°C eingehalten wird. Hygienisch gemolkene Milch kann ohne weiteres länger als eine Woche haltbar sein, aber natürlich verdirbt auch hygienisch gemolkene Milch irgendwann, so wie alles, was lebend ist.
Eine andere Art Milch haltbar zu machen , ist durch die Fermentation. Rohmilchprodukte sowie Rohmilchkefir, hergestellt aus hygienisch gewonnener Milch, können ohne weiteres gekühlt drei Wochen lang gelagert werden. Hartkäse kann man etliche Jahre lagern. Warum sollte frische Milch noch länger haltbar gemacht werden, wenn man weiß das allerlei Eigenschaften der Rohmilch, die es zu einem „Lebens“mittel machen, dann verloren gehen? Anstelle das „shelf life“ als ökonomische Wert zu sehen, sollten wir einen ökologischen Wert an das „Lebens“mittel koppeln, nämlich was bedeutet dieses Produkt für Ihr „gut life“? Welchen Preis wollen Sie für ein Lebensmittel zahlen, wenn Ihre Kinder kein Asthma und Allergien bekommen oder dadurch gesund werden oder sich Ihre nächtliche Ruhe dadurch verbessert? Wenn Rohmilch statt als Lebensmittel auch als Heilmittel anerkannt würde? Die individuellen Geschichten rundum Rohmilch und Rohmilchkefir werden immer lauter und verstärken sich gegenseitig: Kinder, die von ihren Allergien genesen wurden, Kinder, bei denen die rote, offene, juckende Haut wieder geheilt ist, Kinder, deren ADHS weniger wird, Alten, die wieder einen gesunden Stuhlgang bekommen und ihre jahrelangen Darmkrämpfe los sind, Menschen, die zur Ruhe kommen. Bei all diesen Beispielen kann man wahrscheinlich von einer Verbesserung des „gut life“ sprechen, einer sich verändernden Darmflora, die der Ausgangspunkt vieler dieser Änderungen sind. Wir brauchen also ein anderes Wertschätzungs- und Bezahlungssystem für solche Lebensmittel, namentlich als Heilmittel. Vielleicht können wir anfangen unseren Milchviehbauern als unseren Therapeuten zu sehen und ihn auch angemessen für ihre guten Produkte bezahlen.
Foto: Fliesentableau am Hauptbahnhof von Porto